Montag, 2. Oktober 2017

Tage.

Tag 4.

Wir entscheiden uns jeden Tag dazu wie wir uns fühlen können. Ich lasse bestimmte Gedanken zu. Du schließt bestimmte Gedanken aus. Anders kann ich es mir nicht erklären, wie du noch immer kein Wort in das kleine Gerät getippt hast, dich nicht meldest.
Du schließt mich aus deinem Herzen aus. Es ist okay, was soll ich machen? In mir tobt noch immer dieser unsägliche Regenschauer, doch die Sturzfluten sind vorbei. Allmählich zieh sich das Wasser zurück und die Schäden kommen zum Vorschein. Ein bisschen denke ich – es fühlt sich schlimmer, als es ist. Mache ich mir vielleicht doch zu viele Gedanken? Gebe ich deinem – wir machen weiter, gib mir ein bisschen Zeit – einfach zu wenig Gewicht und lege meine verzweifelte Unsicherheit in eine Waagschale, ohne Ausgleich?
Ich lese unsere Nachrichten und suche nach Erklärungen, nach Indizien. Nichts. Kein Wort der Ablehnung, ein gute Nacht Kuss, ein Vermissen hie und da.

Ich höre alle nur reden, dass du es nicht wert bist weiter an uns zu glauben. Jeder sagt – lass ihn gehen, er will dich nicht, er hat ein anderes Mädchen, er denkt nicht an dich, er interessiert sich nicht mehr für dich. Mein zartes Herz hört in Dauerschleife all diese Tiraden. Mein Bauch aber klopft noch immer, wenn ich nur deinen Namen denke.
Was also kann ich tun? In all dieser Machtlosigkeit muss es einen Sinn geben.
Das einzige, was ich sicher weiß, dass ich dich nicht aufgeben will, dass ich das Gefühl nicht aufgeben will. Vielleicht muss ich es nicht. Ich weiß nicht, woher meine Hoffnung kommt und ich bin mir nicht einmal sicher, ob es überhaupt Hoffnung oder ein letzter Versuch ist an dir festzuhalten. Vielleicht und nur vielleicht – muss ich dich einfach gehen lassen.
Und darauf vertrauen, dass du weißt, wohin dein Herz gehören kann.

Ich lass den Druck ab.


Tag 5.

Ich kann dich nicht beeinflussen. Ich habe keine Macht über das, was du fühlst.
Das einzige, was ich beeinflussen kann, sind meine Gedanken. Weißt du, mit welcher Inbrunst ich an mir pfeile, der Kopf voller flausenhafter Worte, voller Gespenster, voller Wiesen mit aufsteigenden Vögeln, die laut quakend in den Süden ziehen. Ein Karussell mit all seinen unterschiedlichen Sitzplatzen surrt unaufhörlich durch meinen Kopf.

Ich ziehe die Beine an und halte mich ganz fest.
Hast du dich jemals wirklich gespürt?
Ich fühle mich durch jeden einzelnen Muskel in meinem Körper, ich fühle meinen Po auf den weichen Polstern sitzen, ich streiche mir verloren über die Arme, spüre die kleinen Härchen, tippe sacht auf kleine Sommersprossen. Ich streichle meinen Bauch und fahre über meinen Hals, an dem es unaufhörlich pulsiert. Spürst du, wie du lebst? Spürst du dein Herzklopfen? Ich höre mich leben, ich fühle das Leben in meinen Händen, wie sie an ihren Spitzen dankbar sind und meine Weichheit erfassen. Wie weich wir sind, wenn wir uns unserer selbst bewusst sind. Wie selbstverständlich sich die Haut um Knochen und Fasern legt und geschmeidig und verständlich jede Bewegung geht. Wie selbstverständlich wir uns sind.
Allzu oft stelle ich mich in Frage, zweifle, trage Ängste durch die Tage. Ich verpasse Chancen und das Leben. Und während ich verpasse und strauchle, seh ich mich, wie doch eigentlich alles gut scheint. Wo kommt das Wieso her, wenn das doch ganz egal scheint und ich nur gehen muss, die Hände ausstrecken brauch und dort Hände warten, die nur darauf warten sich in meine zu legen.
In meiner verschwiegenden Einsamkeit, auf diesem Sofa sitzend weine ich bittere Tränen voller innerer Kämpfe. Und merkte während ich dort Schlachten führe, dich ich nicht gewinnen kann, dass ich sie im Grunde nicht führen muss. All das innere Alleinsein ist nur alleinsein, weil ich die Tür nicht aufmache. Ich ziehe mich selbst von der Liebe um mich herum ab, wie einen schlechten Mitarbeiter von einem Projekt. Dabei bin ich dafür gemacht. Jede keine Zelle meines Selbst sehnt sich nach der Zuneigung. Und dann kommt sie – so unverhofft und überwältigend, dass ich strauchle. Ich stolpere über meinen eignen Wunsch und kann dich nicht halten.
Weißt du, wie furchtbar es ist diese Schuppen auf den Augen abfallen zu sehen, dort Licht zu sehen und dann aber – den Fisch schuppenlos ins Wasser werfen zu müssen? Ich sehne mich so nach deinen Küssen, nach all der Zuversicht in deinen Armen, dass ich gar nicht merkte, dass all das so greifbar, so echt war und mich von meinen Zweifeln mitziehen ließ.

Und da sitze ich, noch immer mit angezogenen Knien auf dem Sofa und weiß – Lass ich die Liebe der anderen nicht rein, gebe ich mir selbst nicht die Erlaubnis zum glücklich sein, kann noch so viel um mich herum sein, kann ich noch so viel geben und erwarten, sie wird wie Wassertropfen auf mir abperlen. Und während ich dort sitze und merke, dass ich ein Verdurstender bin und im Wasser stehe, gibt es dort so unverhofft Rettungsringe, Arme, die sich nach mir ausstrecken. Tränen, die für mich geweint werden.
Hat dich jemals jemand anderes in sein Herz gelassen und dich nicht herausgeschickt, als es ihm nicht mehr gepasst hat? Warst du jemals für jemanden gut genug? Warst du jemals bedingungslos wichtig? Gab es Tage an denen du dich nicht reiben musstest um dich zu spüren?

Mich selber in diesem Grauen der Ferne zu finden, ist wohl das größte Geschenk, das ich mir mache. Ich frage mich gerade, ob unser Unglück meine größte Hürde sein wird um endlich, endlich zu mir zu finden.

Tag 6.

Aufzuwachen mit deinem Namen, auf meiner Haut, auf meinen trockenen Lippen. Überall Schatten. Doch da ist auch Licht, Licht in meinem Herzen. Dort halten mich Arme fest und wischen mir Tränen und Haarsträhnen aus dem Gesicht.
Hat für dich schon einmal jemand geweint?
Ein kleiner Gruß von mir bleibt unbeachtet. Wie kann ich nur an dir festhalten, wenn du uns doch schon längst verloren hast, irgendwo im Atlantik. Irgendwo zwischen den Wolken und der Schwerelosigkeit, die du gern in deine Tage legst und dabei doch im Grunde nur furchtsam vor deinen inneren Gespenstern davonläufst.
Habe ich in dir die Geister geweckt und du weißt nicht wie du deinen Patronus herbeischaffen sollst? Habe ich dir deine Abgründe gezeigt und du willst nur rückwärts laufen, aus Angst herabzustürzen? Oh, wie ich das verstehen könnte. Wie ich nickend neben dir säße und mich sagen höre – ja, geh nur, lass ab davon, mach die Kiste wieder zu, es ist doch zu schwer.
Doch gleichzeitig sehe ich das Schwert in meiner Tasche blitzen, sehe mich kriegerisch und unerschrocken und bereit gegen diese Sorgen anzugehen. Manchmal, reicht auch ein Patronus. Und meiner, ja meiner ist groß und stark und unheimlich hell. Denn, so gern ich kopfnickend mit dir rückwärts laufen würde, kann man doch nicht davonlaufen. Wir können nicht umhin diese Dinge am Schopf zu packen und ihnen mutig entgegenzutreten. Bist du mutig genug dich auf dein Glück einzulassen?
Und während ich tippe und nach Worten suche, stelle ich mir vor, wie deine Augen an dieser Frage hängen bleiben und höhnisch schmunzeln und wagemutig abstreiten – ich bin doch glücklich, ich bin mutig und ich habe positive Gedanken, du bist es doch, die nicht ablassen kann von all der Schwere in ihrem Rucksack.
Und dann sehne ich mich danach deine Hände in meine zu legen, sie dir zu zeigen, dir einen Spiegel zu geben und dich anzuschauen – bist du bereit für ein großartiges Leben mit mir, bist du bereit Verdrängung abzulegen, Dinge wegzuschieben und stattdessen das wahrhaftige Leben hineinzulassen? Mich hineinzulassen? Ich merke an den vergehenden Stunden, dass es doch am Ende nicht nur ich bin, die sich nicht vertraut. Auch du, in all deiner Wunderbarkeit du keinen Platz für Zuneigung schaffst.
Alles was du schaffst ist Oberflächlichkeit, ist Geplänkel, ist einsamer Spaß. Weißt du wie sich wahre Freude anfühlt, die nicht verpufft, wenn man das Gefühl hat für den anderen nur nützlich zu sein? Freude, die einem einer gibt, nur weil du du bist. Hast du jemals gespürt, dass du um deiner selbst willen geschätzt wirst? Die Liebe kommt in unterschiedlichsten Gewändern und nur, weil du oft nicht sehen willst, welches Kleid sie trägt, ist sie nicht abwesend. Jeder zeigt sich in einer anderen Form und geht es denn nicht um das wie und nicht um das das?
Ich trage dich schweren Herzens durch die Tage und flüstere leise deinen Namen, aber ich flüstere auf Zuversicht, mir und auch ein bisschen dir zu.
Und da stehe ich, bereit für das Leben und in meiner dunkelsten Stunde spüre ich, wie langsam in mir etwas aufbricht. Ich lasse Licht hinein. Ich gebe der Schwermut ein bisschen weniger Raum.


Tag 7.

Wie leidenschaftlich Menschen sein können, wenn man sie lässt. Ich bin noch immer ohne Antwort von dir und entferne mich langsam von dem Gedanken für dich genug zu sein.
Vielleicht bin ich es nicht.
Trotzdem, bin ich genug für mich.
Stunde um Stunde nehme ich mehr Gestalt an und fühle, wie ich weiße Flaggen hisse und den inneren Kampf ruhen lasse.
Ich schaue in den Spiegel und sehe dort leuchtende Augen voller Kraft, voller zögerlichem Eingeständnis, genug, wertvoll zu sein.
Ein kurzer Anruf, ein endloses Straucheln. Eine Absage aus zweiter Hand für die Zuversicht.
Der Hörer wird aufgehangen und an mir hängt das Pech, wie an Marie.
Ich laufe los und will nicht atmen, will nicht sein, will nicht fühlen, was ich fühle. Ich will nicht einmal mehr ich sein.

Wenn ich in diesem Augenblick nicht bereit für all die lieben Worte gewesen wäre, ich hätte mich in mir selbst verloren. Zu sehen, wie wenig du an uns festhältst, mich augenscheinlich aus deinem Leben wirfst, war zu viel. Wie wenig kann ich dir bedeuten, dass nicht einmal eine Absage genug für mich ist. Kein Wort von dir.
Doch ich merke, wie ich, so voller Gedanken, so voller Lügen implodiere. Ich möchte ausreißen, möchte ausreisen.
Und ich kann nur all die Qualen in wenige Worte stecken und sie per Luftpost zu dir senden. Ich schicke sie weg, weg von mir, ich kündige meine Bereitschaft. Ich höre, wie mein Herz kläglich zerbricht.

Wie ich die nächsten Stunden überstehe, weiß ich nicht – dort ist Wut und Sehnsucht, so viel Lust und Leidenschaft, so ungefiltert fließt all das durch mich hindurch und ich kann mich kaum auf den Beinen halten und dann liege ich da und verabschiede mich innerlich von dir, von einem Gedanken an uns, weil du mich in einer Wertlosigkeit zurücklässt, die ich nicht mehr spüren will.
Es sind die so bekannten Töne des Telefons, das vertraute Gesicht auf dem Bildschirm, das mich herausreißt.
Es folgen Worte der Besinnung, der Unterstützung mich in mir selbst finden zu sollen, mir meiner Großartigkeit bewusst zu werden und am Ende steht dort die Frage nach Aufrichtigkeit und es dir nicht recht machen zu können, der Wunsch nach etwas, was du selbst nicht benennen kannst. Nach mehr und doch, weniger als perfekt und doch – genau das. Mehr noch – ein Wunsch, mich nicht formen zu wollen und die Annahme, dass ich mich selber an dich schmiege um dir zu gefallen.
Wie könnte ich weniger sein als das, was ich bin? Da sitze ich, am Bettrand, so voller Bereitschaft, so viel Aufrichtigkeit und in der intuitiven Richtigkeit meiner Worte siehst du Berechnung, siehst du Verstellen. Du willst, dass der andere ist, wie er ist und dann soll es passen und merkst gar nicht, dass du das gerade aus deinem Leben wirfst, deine Stimme mich sanft  aber bestimmt wirft, aus der Leitung, aus unserer gemeinsamen Zeit, mit einer Gewissheit, mit einem Selbstverständnis, dass ich danach nur lachend dort sitzen kann und nicht umhinkomme mich zu fragen: Kann nicht mal genug genug sein? Ist genau richtig, nicht genau richtig? Und ich frage mich weiter – wie kannst du an meiner Aufrichtigkeit zweifeln, wenn ich doch immer gesagt habe, was ich will und was nicht – und wie kann ich nicht all das wollen, was wir haben? Man schreit mir in all den Gesprächen hinterher, ich solle nicht nur an dich denken, sondern auch einmal an mich. Und keinem fällt auf, dass ich dich ganz eigennützig streichle, dass ich ganz egoistisch in Restaurants laufe und mit dir neue Dinge ausprobiere, ich dich zum Weggehen verführen will, weil ich die Freiheit in den Hallen greifen kann, eine Freiheit, nach der ich mich so gesehnt habe. Keinem, nicht einmal dir, fällt auf, dass in all dem eigentlich nur die Erfüllung meiner Wünsche steckt – und sie sich an manchen Stellen einfach zu deinen zusammenfügen.

Tag 8

Und noch einmal hängt zwischen dem Atlantik und dir mein unausgesprochenes – Warum ist genau das, was sich toll anfühlt, nicht einfach genug? Nie habe ich mich freier gefühlt als mit dir und nie hatte ich mehr Angst als mit dir – weil ich, wenn ich dich sehe, meine Zukunft sehe in ihren schillerndsten Farben, in ihrer unglaublichen Vollkommenheit, in ihrer – Imperfektion, die mir keine Angst macht. Bei dir so sein zu können, wie ich bin, war das größte Geschenk und ich sitze dort und sehe – dass meine Erkenntnis aus den letzten Tagen, mir selbst genug zu sein, mir die Liebe erlauben zu dürfen – mich meiner größten Liebe beraubt. Der Liebe zu einem gemeinsamen Leben mit dir. Ich merke, wie mein Herz sich überschlägt und nicht nur dir macht das Angst, oh, ich habe so furchtbare Angst, dass mein Gefühl für dich überkocht, wie Milch auf die man nicht aufpasst. Doch so wie Schokopudding dir Tränen in die Augen treibt, treibst du mich an, treibt mich all das an, was wir haben, im Leben zu bleiben und es zu packen und in mich aufzusaugen. Ich bin deiner nicht müde und ganz gleich, wie wenig Vertrauen du in mich steckst, an mir zweifelst. Ich vertraue mir und, wenn du es nicht kannst – dann wird es ein anderer können. Ich bin bereit für die Liebe.
Über uns hängt diese Schwermut und zeigt sich von ihrer traurigsten Seite. Aber ich möchte das nicht. Ich möchte unsere tanzbare Leichtigkeit und flauschigen Fischküsse und Nasenreiber durch das Fenster schicken und all die Zweifel liegen lassen. Ich möchte die nicht einpacken, nein, vielmehr ihnen eine bunte Kiste basteln, die gut versorgt wissen und abgeben, auf einen strudelnden Fluss setzen und davon schwimmen sehen. Oder ist es letztlich doch einfach so, dass du nur nicht sagen kannst – Ja, genau das ist das Leben, das ich haben will, aber ich möchte es nicht mir dir? Dann lass mich gehen, denke ich – sag es frei heraus, das dort für dich eine andere Zukunft wartet, vielleicht sogar schwingt das in deinen Worten mit und ich will es nur nicht begreifen. Kann nicht begreifen, wie man nicht will, dass man miteinander Träume trägt und Wünsche wahr werden lassen kann, ohne viel Aufwand. Und doch – ja möglicherweise, bin nicht ich es, mit der du das haben möchtest, vielleicht es einfach nur das. Kannst du mich dann gehen lassen?

Ich frage mich kreiselartig, ich duelliere mir nachts und kann gar nicht gewinnen und eigentlich nur verlieren und außerdem gibt es keinen Sieger, denn wer kämpft gegen mich außer ich? Und warum muss ich kämpfen, wenn ich doch in meinem eigenen Team spiele? So gern ich das alles mit dir haben will – vielleicht warst du nur Helfer mich zu mir selbst zu bringen. Und so bist du größtes Glück und größtes Unglück, wenn ich dich gegen meine Wertigkeit eintausche.
Wenn aber das der Preis ist um mich selbst zu akzeptieren bezahle ich – denn ich kann nur bereit für das Leben sein, wenn ich mich selbst lasse. Das weiß ich jetzt.
Weißt du das auch? Das dort ein Leben wartet, noch satter als die importierten Kirschen, denen du vollen Geschmack zu schreibst?


Ich lasse die Gedankenmonster hinter mir, ich möchte sie so gern hinter uns lassen. Begreifen wir es, dass wir uns alles und am Ende unglaublich genug sind?

Sonntag, 24. September 2017

Fischküsse I

__ It's like walking down a forked road. If I go left, nothing is right. If I go right, nothing is left. __



Fischküsse.

Wenn wir über die Liebe schreiben, wissen wir nie, wie es ausgeht. Wir haben keine Kristallkugel, die uns in unsicheren Momenten wie eine Laterne den Weg weist. Kein Gespräch mit Freunden oder Verbündeten, ergibt Sinn oder gar Klarheit. Wir strudeln durch den Tag ohne uns wirklich festhalten zu können, ganz gleich, was der Bauch sagt, oder der Kopf einem vorgibt zu denken. Nichts scheint richtig, alles ist vage.
In manchen Momenten ist dieses Gefühl der Machtlosigkeit ein stiller Begleiter, wir kommen damit ganz gut zurecht, üben uns in Geduld und gehen stetig unseren Weg durch all die Alltäglichkeiten. Doch nur allzu oft übermannt uns diese Ausweglosigkeit so sehr, dass nichts mehr Sinn macht, die Dunkelheit so schwer auf einem liegt, dass selbst Atmen zum Kraftakt wird. Ich aber sah das große wunderbare Leben, welches die Liebe versprechen konnte. Ich war waghalsig und verdrängt den Strudel aus Zweifeln und öffnete mein Herz für die Großartigkeit, die in ihr steckte.
Am Anfang, heißt es, ist alles im Nebel. Und nur die Zeit wird Klarheit bringen.
Am Anfang stehen jene Zeilen. Sie formen sich liebevoll um dieses kleine Stück Seele und flechten ein Netz aus Antworten und Sicherheit.
Am Ende gibt es Raum für ein Ende oder vielleicht einen Neuanfang.
Zwischendrin aber steht eine wunderbare Liebesgeschichte, die nicht mehr und doch alles ist, was das Herz leisten kann. Sie ist in ihrer Unendlichkeit endlich und ganz gleich, wie das Ende dieser Geschichte aussieht, diese Liebe ist konserviert, feingliedrig in Gedanken verstrickt, liebkost sanft die Münder und erweicht jede Bewegung.


September

Tag 1.

Ich ersticke.


Tag 2.

Ich bin überschüttet mit deinen Worten aufgewacht. Jede Sekunde unserer letzten Tage flimmert in meinem Zimmer – Worte wie – ich bin weniger verliebt, ich brauche Zeit, ich will weitermachen, alles ist so schwer mit dir, ich möchte Leichtigkeit. Ein Endlossingsang aus Misstrauen und Überwältigung, ein Chaos von schlechten Gedanken lässt du zurück. Ein ich, irgendwo verloren auf diesem Bürgersteig, den wir für unser letztes Gespräch wählten. Ich irre durch meine eignen Worte, die falsch gewählten Vergleiche, die Frechheiten, die lauten Stimmen. Ich fühl mich so verloren. Ich will nicht fühlen.
Geht es dir gerade ähnlich, oder haben dich 12 000 Kilometer von mir und von all dem Durcheinander weit genug weggetragen? Denkst du dort an mich, unter der Sonne? Hast du mich wie ich’s mir in meiner letzten Nachricht an dich gewünscht habe, mit in den Koffer genommen, oder drehe ich immerfort meine Runden auf dem Gepäckband, abgestellt, verloren, wie ein alter Kaffeebecher? Ich weiß nicht, ob Intuition oder all die elenden Erfahrungen meine Antwort flüstern.
Ich sehne mich nach dir, wie ein Durstender nach Wasser. Ich bin so voller Liebe, dass ich nicht weiß, ob ich gleich implodiere oder einfach in mir zusammensinke wie ein Kuchen, den man zu früh aus dem Ofen nimmt. Ich überlege und kann doch keinen Gedanken zu Ende denken. Angst strömt aus jeder Pore. Verzweifelt will ich die Augen schließen und den Tag nur vorüberziehen lassen.

Mein Strudel aus Gedanken und Schluchzen hält mich am Leben. Ich weiß nicht, wie ich die Stunden überstehe. Ich bin wie ein Geist, alles fühlt sich unendlich und taub an. Keine Berührung dringt durch, alles ist wie in Watte.
Halte durch, lass ihn gehen, mach das, was dir gefällt, denk an dich – Mantra - artig schwirren ihre Sätze durch meinen Kopf, die Buchstaben der Nachrichten verschwimmen vor meinen Augen. Du bist so tief in mir eingebrannt, dass die Traurigkeit, die elendigen Tränen dich herausschwemmen müssen, wie eine Flutwelle so stark. Und so fühlt es sich an. Als würde ein Tsunami durch mein Herz strömen, ein Hurrikane alles aufwirbeln und ich atemlos im Auge des Sturms stehen. Ich kann nicht vor oder zurück, ich bin angewurzelt in meinen Gefühlen zu dir und kann nicht von dir lassen. Ich will nicht von dir lassen.

Erinnerst du dich noch an unseren ersten Kuss?
Alles in mir formt diesen Abend, ich kann nicht von deinen Augen schreiben, die mich so voller Begeisterung anschauten, so voller Hoffnung, ohne dabei auch an ihre Angst zu denken. Hätte ich damals schon sehen müssen, dass dort eine Mauer ist, die ich niemals durchbrechen könnte? Deine Augen, denen ich nicht einmal als erstes verfallen war. Zuerst war dort dein unglaubliches Strahlen, dein mich packendes Lächeln, das auch jetzt noch in meinem Bauch alles zusammenziehen lässt, dass mich bis in die Zehenspitzen erfüllt. Wo ist diese Hoffnung hin?
Ich verliere dich mit jeder Sekunde des Abstandes zwischen uns und weiß doch, dass nichts als diese Ferne auf meiner Seite steht.

Seit Wochen, nein eigentlich schon seitdem ich dich das erste Mal wirklich wahrnahm, war dort etwas, was ich nie zuvor gefühlt hatte. Keine meine anderen Liebschaften brachten mich zu diesem Gefühl. Keiner. Vielleicht ist es genau das – dass du mir die wahre Liebe zeigst und ich nun, von seinen Lippen gekostet, abhängig nach ihm weiter, mehr will, als nur einen Schluck. Aber vielleicht bin ich nur ein Süchtiger, der nicht sieht, wie schlecht es mir damit eigentlich geht. Und vielleicht bin ich nicht gemacht für dich.
Ich weiß, als ich wieder in meinen Kissen versinke, geschüttelt von den Tränen, dass ich dich nicht überzeugen kann, gut für dich zu sein.
Einfachheit aber schließt sich einem anderen gänzlich hinzugeben, sich zu offenbaren nicht aus. Ganzes Glück ist nicht nur Leichtigkeit, es bedeutet mit dem anderen trotz aller Schwere zu fliegen, manchmal auf den Flügeln des Anderen, manchmal gemeinsam wie Bernhard und Bianca in einer kleinen Fischdose auf dem Rücken eines Albatrosses, aber immer – against all odds. Wusstest du das nicht?

Tag 3.

Ich denke an deine letzten Worte, an unsere letzten Berührungen.
Wie Brennnesseln spüre ich deine Lippen auf meinen Wangen, selbst mit geschlossenen Augen sehe ich dein Gesicht, kann nicht von deinem Bart auf meiner Haut genug bekommen. Ich verfalle immer wieder in diesen Moment. Noch immer würde ich gern nichts fühlen und betäube mich mit Unsinnigkeiten und Ablenkung. Die Musik ist zu laut, das Licht zu grell. Aber nur das scheint mich ein wenig weg zu tragen von all dem.
Wir stehen dort in dieser Straße, um uns herum ist Herbst. Ob ich es hätte wissen müssen, dass wir keinen Herbst miteinander haben? Immer sprachen wir nur von einem wunderbaren Frühling, von zauberhaften Sommermomenten, doch von knisterndem Laub war nicht die Rede. Hast du uns ein Ablaufdatum gegeben ohne mich einzuweihen? War ich Mitarbeiter ohne Vertrag? Ein Stempel, den ich nicht lesen konnte - war ich das Ei und nicht das Huhn?
Die Stadt ist lebendig und doch irgendwie still in diesem Augenblick, Ich sehe keine Lichter, nur das Haus, das du so hübsch fandst, dessen Architektur dich faszinierte. Ich war nicht bereit für deine Leichtigkeit glaube ich. Und du nicht für deine Angst, weiß ich. Ich wische mir die Haare und später im Stillen die Tränen aus dem Gesicht. Ob du weißt, wie ich gelitten habe, in der letzten Nacht, als du mir sagtest, du willst keine Beziehung mit mir. Nichts davon war dir klar, ich glaube dir. Ich glaube dir, dass dir die Tragweite deiner Worte und deines Verhaltens nicht klar war und doch bist du voller Selbstbewusstsein und Überzeugung dort vor mir und schließt mich aus deinem Leben aus.

Du bist fort. Nicht nur räumlich. Du bist weg von mir und ich stehe hier allein vor all diesen Fragen, zwischen meinen Unsicherheiten und verstehe das Leben nicht mehr. Ich war kurz vor unserem ersten Kuss so sicher mit mir selbst. Ich hatte das Leben bei den Hörnern gepackt und war bereit für das Glück. War bereit für all die Herausforderungen und Wunder.
Doch nun ist da nichts mehr, nichts als Dunkelheit.
Wie konnte es soweit kommen? Wo habe ich mich, wo habe ich dich verloren?
Immer wieder gehe ich alles durch, ich gehe schrittweise durch die Tage. Doch nichts. Ich hatte in keiner Sekunde einen Zweifel an mir und spürte doch deine. Ich denke nur – es sind die Sorgen deines Alltags, die mich schwerer machen lassen. Aber kann es sein, dass du einfach einen Ausweg suchst, einen Weg weg von mir? Ich will es nicht glauben, ich möchte nicht zweifeln an deiner Aufrichtigkeit.

Wenn wir die Liebe in unser Leben lassen, sind wir voller Hochmut und wägen uns in naiver Sicherheit, dass sie nie wieder geht. Gespielte, vielleicht auch ernste Unsicherheit versalzt uns hin und wieder ein gemeinsames Abendbrot und doch – doch wir nehmen alles so selbstverständlich, denken nicht daran, dass Küsse abgezählt und Berührungen vergänglich sind. Die Liebe aber ist ein verräterisches Tier, dass dich in Ausweglosigkeit angreift und überfällt, wenn du dich nicht wehren kannst und verschwindet, wenn du sie am meisten herbeisehnst. Die Liebe spielt ständig ihr eigenes Spiel, fast durch Fäden manipuliert bewegt sie sich durch die Leben und keiner kann sich selbst ihrer annehmen, sie kontrollieren, sie hervorrufen, sie wegschicken. Liebe lässt sich nicht fangen, wir müssen uns hingeben oder ganz ihrer entsagen.
Ganz oder gar nicht. Die Liebe lässt keine Kompromisse, keine Belanglosigkeit, nicht einmal Unverbindlichkeit zu.
Wer die Liebe wählt, der wählt die Herausforderung, der wählt den schweren Weg im Leben und legt seines in die Hände eines anderen. Wer die Liebe wählt, der gibt die Kontrolle ab. Und nur zu gut weiß ich, wie schwer mir das fällt. Doch mit dir war das alles ganz leicht. Ich wägte mich mit dir in Zuckerwatte, wir waren wie auf Kissen, alles war weich und zauberhaft. Du hast so viel Glück in mein Leben gebracht, dass ich wie hypnotisiert deinen Bewegungen gefolgt bin ohne zu hinterfragen. Ich dachte nichts Anderes wäre ich für dich. Ein Zuckerwattekuss an einem zauberhaften Samstagmorgen, eine endloses Repeat deines Lieblingsliedes. Ich wollte, dass du alles für mich bist. Und ich dachte ich könnte all das auch für dich sein.


Ich stelle meinen Schreibtischstuhl auf meine Größe ein und erinnere mich daran, wie du auf ihm sahst während du stundenlang deine Bachelorarbeit in meinem Ankleidezimmer schriebst. Ich erinnere mich ebenso daran, wie wir ihn gemeinsam gekauft haben um mich in meinem Studium besser zu organisieren. Ich erinnere mich an dein herzzerreißendes Lachen, an die Enge, an deine Zuneigung, an all das zwischen den Regalen, deine Unterstützung und schon bin ich wieder verloren in der Vergangenheit. Ich erinnere mich an deine Frage, ob irgendetwas an dem Stuhl anders sei und ich sagte dir, ich hätte ihn zuvor erstmals auf mich zurückgestellt. Und ich zeigte dir den Hebel um ihn wieder für dich passend zu machen. Ob das dein Moment war in dem dir klar wurde, dass ich genauso wenig passte, wie dieser Stuhl? Hast du mich dort mit anderen Augen gesehen?

So oft habe ich das Gefühl, dass du denkst, ich verstelle mich, bin nicht wahrlich ich. Nur war ich nie mehr ich, nie mehr bei mir als in deiner Nähe. Ich fühlte mich nie freier, nie begehrter als in deinen Armen, auf den hitzigen Abenden auf deinem Balkon, ich war nie glücklicher als dann, wenn deine Hand meine nahm und wir zusammen am Morgen gemeinsam nach Hause gelaufen sind. P und P wurde zu meinem Motto, weil aus meinem kläglichen ich, ein unglaubliches Wir wurde. Ich fühlte mich geborgen und unabhängig in meinem Glauben an die Liebe, und war bekehrt von deinem Kuss. Ich war nicht mit dir, ich war ich, während wir uns fanden. Wie ich mich in den letzten Tagen immer wieder sagen höre – mit dir war ich 100 Prozent ich. Welch eine Last muss ich doch auf dich geladen haben.
Wie selbstverständlich ich dich nahm und mich langsam aber unausweichlich den Zweifeln hingab, dich prüfte. Ich hinterfragte ungesagte Antworten, ich verschwor mich hinter deinem Rücken mit meiner Angst und war doch eigentlich nie mehr bei dir als in all den liebevollen Worten, die sich durch die Tage zogen. Wie konnte ich dich nicht nehmen, wie du warst? Ich sah deine Unabhängigkeit, ich sah deine Entschlossenheit und auch deine innerlichen Bedrohungen. Ich sah zum ersten Mal deine Mängel. Und liebte dich noch mehr in dieser Zeit. Ich liebte dich vielleicht schon seit unserem ersten Kuss. Dieser Kuss unter meinen Decken, oh wie verzehre ich mich seitdem nach deinen Berührungen.
Dein kleinster Finger war Genugtuung, ich hätte mir nicht mehr wünschen können und doch war alles nichts. Ich fing an zu zweifeln. An mir und deiner Zuneigung.
Und mache vielleicht alles damit kaputt.

Tag 4 ist noch nicht eingeläutet und ich höre eine leise Stimme flüstern, die dir Eigennutz suggeriert, die dich ins schlechte Licht rückt.
Gibt es eine richtige Sicht auf die Dinge? Welche Wahl meiner Gedanken ist die richtige? Wähle ich den linken Weg, fühlt sich nichts richtig an, gehe ich rechts, fällt alles auseinander. Warst du nur auf deine eigenen Ziele aus, war ich nur Spielfigur in deinem zweitklassigen Theaterstück?


Dein Herz war mein zuhause.

Und jetzt – jetzt fühle ich mich heimatlos.
Kein Wort von dir.

Tag 4.